Geduld!

Auch wenn Sie sie nicht haben, man kann sie lernen – mit ein wenig Geduld.

 „Dem Geduldigen laufen die Dinge zu, dem Eiligen laufen sie davon.“ Aus Tibet

Was ist Geduld?

Geduld ist die Fähigkeit, eine innere Spannung anzunehmen, ohne sich dabei zu ärgern oder zu verspannen. Diese innere Spannung entsteht meistens, wenn sich unsere Wünsche nicht erfüllen  und diese mit der Realität auseinanderklaffen. Zusätzlich kommt hinzu, dass diese Spannung dann noch durch einen zeitlichen Faktor bestimmt wird. Ich möchte zum Beispiel jetzt schon etwas haben, muss aber noch warten. Geduld wird daher auch als „Langmut“ bezeichnet. Es geht nicht nur darum, die innere Spannung anzunehmen, sondern auch die Situation anzunehmen, die die Spannung verursacht hat. Geduld heißt jedoch nicht, dass man sich nun jeder Situation ergeben oder ausliefern soll und alles mit sich geschehen lassen soll. Es heißt nur zu akzeptieren, dass die Dinge im Moment so sind wie sie sind. Und man sich aus einer geduldigen und gelassenen inneren Haltung heraus entscheiden kann, ob man es dabei belässt oder man aktiv etwas an der Situation ändern möchte. Wer geduldig ist, sieht oft klarer, was als nächstes zu tun ist- auch wenn das vielleicht erst einmal bedeutet, nichts zu tun.

Das Gegenteil von Geduld ist Ungeduld. Jemand der ungeduldig ist, nimmt die Möglichkeit, dass vielleicht „Nichtstun“ die richtige Entscheidung ist, gar nicht bewusst wahr. Ungeduld geht dabei oft mit diversen körperlichen Schwierigkeiten einher. Diese können zum Beispiel erhöhte Herz- und Atemfrequenz, muskuläre Anspannung und allgemeine körperliche Unruhe sein. Alles sind Anzeichen einer Stressreaktion. Unter Stress sind wir aber eher auf Überlebensmodus geschaltet und weniger in der Lage, rationale vernünftige Entscheidungen zu treffen. Auf lange Sicht kann Stress dann zudem noch zu diversen körperlichen Schwierigkeiten bzw. Erkrankungen führen.

Neben der Akzeptanz, die ein Bestandteil der Geduld ist, schwingt oft auch Hoffnung mit. Hätten wir keine Hoffnung auf etwas, was wir erwarten, würde sich das Warten ja nicht lohnen. Sie stellen sich nicht in eine lange Schlange und warten bis Sie an die Reihe kommen, wenn sie nicht die Hoffnung hätten, dafür etwas Lohnenswertes zu bekommen. Das ist auch einer der Gründe, warum uns ein Verkehrsstau teilweise so zur Verzweiflung bringen kann, da die Hoffnung rechtzeitig anzukommen, rapide schwindet und wir die Situation oft auch nicht mehr verlassen können. Das heißt: Sowohl die Hoffnung als auch die Entscheidung wird uns in Teilen genommen. Sich hier in Akzeptanz und Geduld zu üben, erfordert viel Übung. Wer in einer größeren Stadt wie München lebt, bekommt aber auch viele Möglichkeiten zu üben.

Jon Kabat-Zinn, ein amerikanischer Professor, hat einen immensen Beitrag geleistet, Achtsamkeit und Meditation in den Westen und in die Psychologie zu integrieren. Er beschreibt Geduld als ein inneres Wissen. 

Sie bringt zum Ausdruck, dass wir verstehen und akzeptieren, wenn Dinge ihre eigene Zeit brauchen, um sich zu entfalten Jon Kabat-Zinn 2013

Die Tatsache, dass der Begriff Geduld schon immer einen Platz in der Literatur hatte und auch alle großen Weltreligionen Geduld als Tugend ansehen, zeigt, dass Geduld noch nie etwas Leichtes war. Ansonsten hätte man diese Tugend nicht erwähnen müssen. Durch den extremen technischen Fortschritt, der in großen Teilen dadurch motiviert ist, alles effizienter und schneller zu gestalten, scheint es mit dem geduldig sein schwerer denn je. Während man vor nicht allzu langer Zeit einen Brief versenden musste, um mit jemandem entferntes in Kontakt zu treten und man es dann noch aushalten musste, dass eine Antwort durchaus ein bis zwei Wochen später erst eintraf, so ist es heute durch SMS und WhatsApp eine Frage von Minuten oder Sekunden. Es wird also in vielen Bereichen keine Spannungstoleranz mehr gelernt. Im Gegenteil, es verunsichert einfach nur, wenn das Gegenüber nicht schnell antwortet und wir geraten schnell in einen gestressten, ungeduldigen Zustand.

Geduld direkt zu definieren, ist wie sich zeigt schwierig. Aber man kann Aspekte, die häufig mit  Geduld einhergehen, wie Akzeptanz, Spannungstoleranz und Hoffnung benennen. Zudem kann man das Fehlen von Geduld als Gegenpol betrachten. Es scheint nicht ungewöhnlich, dass eine genaue Definition kaum möglich ist. Die meisten Gefühle können nur über Annäherung und Beispiele beschrieben werden. Geduld ist also etwas, dass sich für einen selbst aus der Auseinandersetzung mit spannungsvollen Situationen als erlebter Zustand und Erfahrung definieren muss.

Wie lerne ich Geduld?

Um geduldiger zu werden, ist es empfehlenswert, erst einmal herauszufinden, was uns ungeduldig macht. Dieses Vorgehen ist eigentlich leicht nachvollziehbar, da es meistens günstig ist den Ist-Zustand zu ermitteln, bevor man sich proaktiv verändern will. Für viele kann das allein bereits die erste Geduldsübung sein.

 

Ist-Zustand ermitteln

Um den Ist-Zustand zu ermitteln, beobachten Sie sich in verschiedenen Situationen und finden Sie heraus wie, wo und wann Sie ungeduldig werden. Ergänzen Sie Ihre Beobachtungen, indem Sie Kollegen, Freunde und Partner fragen, wann diese Sie als ungeduldig erleben. Sie werden feststellen, dass Sie nach ein bis zwei Wochen schon ein relativ gutes Bild davon bekommen, was Sie typischerweise ungeduldig werden lässt.

Die Situationen, die Sie nach dieser Vorarbeit identifiziert haben, sind meistens mit ganz eigenen Gedankenmustern und körperlichen Anspannungen und Verspannungen verbunden.

 

Gedankliche Aspekte

Gedanken wie „Ich verschwende hier nur meine kostbare Zeit“, „Wenn das so weiter geht, wird das nie was“, oder sogar „Warum sind die alle so unfähig“ lösen kein Problem, aber sie lösen Stress und teilweise auch eine feindliche und abwertende Stimmung aus. Gerade in dem Extremfall, wenn es anfängt, feindlich zu werden, zeigen sich die weitreichenden Konsequenzen. Wenn wir die Leute in der Warteschlange, die Kassierer, die anderen Verkehrsteilnehmer oder unsere Mitarbeiter innerlich abwerten und zu Feinden machen, wird das auch für die Welt um uns herum spürbar und unangenehm. Wir machen uns selbst im schlimmsten Fall zum Feind für unsere Umwelt. Von daher lohnt es sich, diese Gedanken in Ruhe zu betrachten und auf ihren objektiven Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Dies kann anfangs in einer stressigen Situation schwierig sein. Beginnen Sie also damit, ihre ganz eigenen ungeduldigen Gedanken zu bemerken und wenn die Situation vorbei ist, nochmal zu betrachten. Es kann hier auch hilfreich sein, sich zu überlegen, wie wir immer wieder auf die Idee kommen, dass uns die Welt in Form von Geschwindigkeit entgegenkommen sollte.

Manchmal wirkt die eigene Ungeduld, wenn wir sie in Ruhe betrachten oft kindisch, jedoch mit dem Unterschied, dass Kinder noch weniger Chancen hatten, ihre Frustrationstoleranz zu verbessern. Wir hingegen hatten sehr viele Gelegenheiten.

„Ist man in kleinen Dingen nicht geduldig, bringt man die großen Vorhaben zum Scheitern.“ Konfuzius

Körperliche Aspekte

Auch körperliche Anspannungen wiederholen sich meistens. Achten Sie auf Ihren körperlichen Zustand, wenn Sie ungeduldig sind. Typisch ist eine Anspannung im Nacken oder Magen. Hier können Sie versuchen, bewusst tief einzuatmen und die Anspannungen langsam zu lösen. Leider ist es nicht leicht, in einem ungeduldigen Zustand den eigenen Körper zu beobachten. Die häufig mit Ungeduld verbundene Stressreaktion lenkt unsere Aufmerksamkeit eher auf die äußeren Bedingungen. Rein biologisch heißt Stress für den Körper, dass etwas potenziell Gefährliches passiert. Wenn keine akuten Schmerzen vorliegen, muss die Gefahr von außen kommen. Also wird folgerichtig die Aufmerksamkeit dorthin gelenkt. Jetzt daran zu denken, auf seine Anspannungen zu achten, ist erstmal für ein alarmiertes System nicht plausibel. Wenn Sie es doch tun, kommt die zweite Schwierigkeit. Typischerweise wird man in einem ungeduldigen Zustand nicht in Ruhe eine Entspannung anstreben. Wahrscheinlich wird man einfach versuchen, möglichst schnell gegen die Verspannung anzugehen. Wenn man zum Beispiel bemerkt, dass der Nacken angespannt ist und die Schultern hochgezogen sind, wird man die Schulten recht abrupt runterziehen. Dies wirkt sich aber nicht entspannend aus, sondern erzeugt nur eine weitere Anspannung.

Interventionen gegen Stress

Insgesamt wirken sich alle Interventionen, die Stress reduzieren günstig auf unsere Fähigkeit zur Geduld aus. Hervorheben sollte man hier Atemübungen, wenn sie unter einer kompetenten Anleitung vermittelt werden und Sport, wenn er nicht unter Leistungsdruck durchgeführt wird. Auch Neurofeedbacktraining nach der Othmer-Methode kann helfen, um die Selbstregulation zu verbessern. Bei all diesen Methoden kann es trotzdem eine Herausforderung bleiben, den Transfer in den Alltag zu schaffen. Sollte dies nicht gelingen, sprechen sie mit einem Therapeuten, Trainer, Berater, Coach oder einem Menschen, den Sie als geduldig identifiziert haben und lassen Sie sich helfen bzw. beraten.

Dankbarkeit

Eine Studie, die von David DeSteno, Leah Dickens und Jennifer Lerner im Jahr 2014 erschienen ist, untersuchte, ob es einen Zusammenhang zwischen Dankbarkeitsübungen und Geduld gibt. Dabei wurden Teilnehmer unterschiedlichen Gruppen zugeteilt. Eine Gruppe sollte über ein Ereignis schreiben, dass ihren Alltag wiedergibt. Die zweite Gruppe über eine Erinnerung, bei der sie sich sehr glücklich gefühlt haben und die dritte Gruppe über eine Erinnerung, bei der sie viel Dankbarkeit empfunden haben. Danach wurde allen Teilnehmern eine kleine Summe Geld angeboten, die sie gleich bekommen könnten oder eine größere Summe Geld, wenn sie zwischen einer Woche und sechs Monate warten würden und sich so also in Geduld üben. Die Gruppe mit der Dankbarkeitserinnerung schnitt am besten ab, da in dieser sich mehr Teilnehmer entschieden, länger zu warten. Das ist ein schönes Beispiel dafür, dass eine Beschäftigung mit den Dingen, für die wir dankbar waren und dankbar sind, einen Einfluss auf unsere Fähigkeit geduldig zu sein haben.

Geduld üben im Advent

Wollen Sie noch mehr Anregungen wie sich Geduld gerade jetzt in der Adventzeit üben lässt, lesen Sie den in der Zeitschrift „Engagiert“ veröffentlichten Artikel von Claudia Baklayan. Zur Adventausgabe der Zeitschrift „Engagiert„: Im Advent lässt sich Geduld üben >>

Geduld in Gesprächen

Um geduldiger in Gesprächen zu werden, hat es sich gezeigt, dass es sich lohnt genauer zuzuhören und dabei ein ehrliches Interesse unserem Gegenüber zu vermitteln oder zu entwickeln. Um das mit schwierigen Gesprächspartnern zu erreichen, können wir versuchen einen Perspektivwechsel anzustreben und zu versuchen, die Dinge aus der Sicht des Gesprächspartners zu sehen. Darüber hinaus zeigt sich erstaunlich oft, dass viele Menschen nicht immer exakt benennen können, was sie selbst von einem Gespräch erwarten bzw. was sie genau am anderen stört.  Wenn Sie merken, dass dieses Wechselspiel der eigenen Erwartungen und den Erwartungen des anderen Sie schnell aus der Ruhe bringt oder Sie hier irgendwie gar nicht weiterkommen, empfehlen wir Ihnen einen entsprechenden  Therapeuten, Coach oder psychologischen Berater aufzusuchen. Das ist am besten jemand, der Erfahrung mit Kommunikationstechniken und Übungen hat. Es ist leichter, dieses Thema mit jemandem zu üben, der Erfahrung hat.

 

 

Literatur

DeSteno, D., Li, Y., Dickens, L., & Lerner, J. S. (2014). Gratitude: A tool for reducing economic impatience. Psychological science, 25(6), 1262-1267.

Kabat-Zinn, J. (2013). Gesund durch Meditation: das große Buch der Selbstheilung mit MBSR. OW Barth eBook.